"Zirkus im Ohr" - Ein Bericht von Sebastian Striegel

27.05.2021

Wir möchten uns bei euch mit einem tollen Text von Sebastian Striegel zum ersten Original Egerländer Festival bedanken ...

 
 

"Zirkus im Ohr" - Ein Text von Sebastian Striegel


Eine Reportage zum 1. Original Egerländer Festival (Livestream) am 21. Mai 2021 im Circus Krone München
von Sebastian Striegel

Nicht einmal das eigene Herzklopfen ist zu hören. Zu kurz, kaum wahrnehmbar ist dieser flüchtige Moment, wenn das kraftvolle Einatmen abgeschlossen, das druckvolle Blasen ins Instrument aber noch nicht begonnen hat. Es ist nur ein Augenblick, ein Sekundenbruchteil unmittelbar vor Beginn des Konzerts. Nun herrscht absolute Ruhe. Doch gleich wird der Atem der Musikanten die Luft in emotionale Schwingung versetzen.

21. Mai 2021, kurz nach 19.30 Uhr. Vier Wochen Blasmusikvorfreude gipfeln heute zum ersten „Original Egerländer Festival“. In der Manege des Circus Krone in München hat „Die kleine Egerländer Besetzung – das Original“ bereits Platz genommen. Sie eröffnen den Konzertabend zur Feier des Doppeljubiläums: 65 Jahre „Original Egerländer Musikanten“, seit 20 Jahren unter Leitung von Ernst Hutter. Ein Festival zu Zeiten des Coronalockdowns – das bedeutet: die Plätze rund um die Manege, sie müssen frei bleiben. Keine Besucher vor Ort, Livestream ist angesagt. Aus Besuchern, die sonst mit allen Sinnen ein Konzert erleben, werden Zuschauer. Und Zuhörer. Während eines Konzertbesuchs im Circus Krone nimmt die Nase die berühmten Circuspferde wahr, man spürt auf der Haut den alt-ehrwürdigen Charme des renommierten Hauses, schmeckt das Festivalfeeling bittersüß auf der eigenen Zunge – beim Livestream reduziert sich das Erlebnis auf das Sehen und das Hören. Vor allem aber die Ohren sind es, denen eine ganz besondere Rolle zukommt.

Verklungen ist in diesem einen Moment, was bereits den ganzen Tag über „Zirkus im Ohr“ machte: das behäbig-schwere Klappern der Rampe, immer dann, wenn eine weitere Kiste mit Kameras, Mikrofonen oder Notenständern über die Türschwelle geschoben wird. Das metallisch-dröhnende Hinabfallens eines nicht fest genug verschraubten Podestfußes, das im leeren Kuppelbau ein fast schmerzhaftes Volumen annimmt. Die freudigen Rufe und das stumpfe Klatschen, als Fäuste zur Begrüßung aufeinander pochen. Und zuletzt das sanfte Streichen frisch polierter schwarzer Musikantenschuhe auf dem roten Teppich beim Betreten der Manege.

Der Circus Krone-Bau in München ist ein legendärer Fixpunkt in der langen Egerländer-Geschichte. In schöner Regelmäßigkeit haben Ernst Mosch und Ernst Hutter ihr Orchester dort aufspielen lassen und den Besucherinnen und Besuchern (und auch den Musikanten selbst!) emotionale Höhepunkte beschert. Hier gab Ernst Mosch 1998, kurz vor seinem Tod, sein letztes Konzert. Der Circus Krone-Bau als legendäre Konzertstätte ist daher prädestiniert für das erste Egerländer-Festival. Damit aus der historischen Konzertstätte jedoch auch ein Produktionsort für einen in dieser Art nie dagewesenen Livestream für viele tausend Egerländer-Fans werden kann, bedarfs es eines immensen Aufwands. Ein knappes Dutzend Techniker verbauen eine komplette LKW-Ladung Ton-, Licht- und Fernsehtechnik, kilometerweise Kabel werden verlegt, der Ablauf des Abends ist minutiös geplant. Es muss alles sitzen, „live“ gibt es keine zweite Chance. Nach mehr als zwei Arbeitstagen intensiver Vorbereitung schallt es durch den Circus-Bau: „bitte Ruhe – es geht los!“

Beim ersten Bläserton ist die Zirkuskuppel schlagartig erfüllt von kraftvoller Energie; als der zweite aus dem Rund dazustößt erklingen Melodie und Harmonie. Das Ohr vernimmt mit wohligem Behagen sämtliche Schwingungen aus der Manege: sanfte Klänge, rhythmische Fanfaren, treibender Groove. Satte tiefe und spitze hohe Töne, federnde Wirbel und metallisch klingende Kantenschläge, warme Stimmen im wohligen Einklang. Ganz leise das Klappern gut geölter Ventile und in den Pausen zwischen den Stücken das hohle, fast stille Rauschen, wenn bei geöffneter Wasserklappe Kondenswasser aus dem Posaunenzug geblasen wird. Parallel, im Foyer, dringt das bestimmte Schieben der Mischpult-Regler ebenso ans Ohr wie das gedämpfte Klicken, wenn der Regisseur am Bildmischer per Tastendruck gekonnt von einer Kamera zur nächsten schaltet.

„Blas‘ Musik in die Welt“ – der erste Titel der kleinen Besetzung ist Programm. Die jungen Egerländer Musikanten lassen mit großer Spielfreude Polkas und Märsche aus dem gleichnamigen Album erklingen und erfreuen damit die Zuschauer, die sich aus zwölf Nationen zu tausenden in den Livestream geschaltet haben. Die Titel, die allesamt aus der Feder der Solisten selbst stammen, beschreiben hörbar das einzigartige „Egerländer-Feeling“ und bereiten so den musikalischen Boden für den Auftritt der Jubilare: seit 20Jahren leitet Ernst Hutter das erfolgreichste Blasorchester der Welt, das Ernst Mosch vor genau 65 Jahren gegründet hat. Und das seither musikalisch Maßstäbe setzt. Der böhmisch-swingende Sound und die tiefen, wahren Emotionen, die die Musikanten aus ihrer Atemluft erzeugen – das ist „Egerländer-Feeling“ pur. Und davon gibt es beim Livestream-Festival jede Menge, harmonisch verpackt in wunderschönen Melodien und fulminanten Solo-Einlagen. „Ernst Hutter & Die Egerländer Musikanten – Das Original“ finden eine charmante Mischung aus neueren Titeln und alten Klassikern. Und auch wenn der ein oder andere Hit an mancher Stelle vermisst wird – das Programm findet allenthalben großen Anklang, im wahrsten Sinne des Wortes. Mit Witz und Schalk wie ein Clown, aber auch mit der ruhig-entspannten Gelassenheit eines Zirkusdirektors moderiert Edi Graf durch das Programm, das klanglich perfekt den Kuppelbau ausfüllt. Im Grunde wie immer, wenn die „Egerländer“ die Bühne betreten. Und doch ist etwas ganz anders an diesem Abend. Eines lässt Musikanten, Fans und alle, die hinter den Mischpulten und Kameras zum Konzert beitragen, immer wieder, nach jedem Stück, einen Wimpernschlag lang leicht verunsichert aufhorchen.

Der Schlussakkord verklingt, übrige Luft entweicht stumm aus entspannten Musikantenlungen, ein knapper Trommelschlag setzt einen trockenen Schlusspunkt. Stück vorbei. Und es folgt Stille. Das geneigte Ohr erwartet Klatschen, Freudenschreie, Bravo-Rufe. In der Manege jedoch: einfach nur Stille.

Es ist eine fast unbequeme Stille. Weil das Erwartete fehlt, weil man etwas vermisst. Tosender Applaus nach dem großen Hit etwa, dankbar-fordernde Rufe nach einer Zugabe. Diese Stille spürt man vor Ort fast körperlich, und ebenso in den Wohnzimmern und Hobbyräumen, wie Fans immer wieder auf die digitale Pinnwand zum Festival posten. Es gibt in dieser Stille aber auch einen Nachhall, den man nicht akustisch wahrnimmt - wohl aber mit dem Herzen. In der Manege und ebenso Zuhause, wie hunderte Pinnwandkommentare dokumentieren: Lebensfreude, Musikgenuss, Leidenschaft. Es ist das Echo der eigenen Seele auf das, was die Ohren zuvor eingefangen haben. Die tiefe Zufriedenheit, das erfüllende Glück, die geliebte Musik hören zu können – live, in dem Bewusstsein, dass tausende es einem im selben Moment gleichtun. Und noch eines schwingt mit: die Sehnsucht nach dem, was einmal Alltag im Leben der „Egerländer“ war, gleichwohl von Musikanten wie Fans. Die Freude an der Musik leibhaftig miteinander zu erleben, in Gemeinschaft vereint an einem Ort. Von Angesicht zu Angesicht die lebensbejahenden Werte der Egerländermusik zu teilen und somit zu mehren.

Fast vier Stunden ist es nun her, dass der letzte Titel „Bis bald auf Wiedersehen“ verklungen ist. Stolze Freude & abfallende Anspannung ertönen kurz darauf in zahlreichen Gesprächen rund um die Manege, begleitet vom dumpfen Klang anstoßender Flaschen. Bald danach klappern wieder voll beladene Technik-Kisten über die Rampe zurück zum LKW. Und nun: wiederum Stille. In der Manege und auch zu Hause bei den Fans. Doch diese Stille ist anders als zuvor. In dieser Stille ist deutlich das heiter klopfende Fan-Herz zu vernehmen, das weiß: die Lebensfreude der Egerländermusik, die übers Trommelfell auch stets die Seele in frohgemute Schwingung bringt - sie kann niemals gänzlich verhallen.

Text: Sebastian Striegel, Bilder: Paul Gärtner 

Clowns
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